Wie erkenne ich lockerung oder infektion an einer kunstgelenkprothese ohne röntgenuntersuchung

Wie erkenne ich lockerung oder infektion an einer kunstgelenkprothese ohne röntgenuntersuchung

Als jemand, die viele Betroffene begleitet hat, höre ich oft die Frage: „Könnte meine Prothese locker sein oder ist das eine Infektion?“ Ohne Röntgen oder bildgebende Diagnostik lässt sich das nicht endgültig beantworten. Dennoch lassen sich anhand von Symptomen, Verlauf und einfachen Checks zuhause oft wertvolle Hinweise sammeln, die Ihnen und Ihrem Behandlungsteam helfen können. Im Folgenden erläutere ich, worauf ich persönlich achte, welche Unterschiede typisch sind und wann Sie sofort ärztliche Hilfe brauchen.

Erster Eindruck: Zeitlicher Verlauf und Auftreten

Der Zeitpunkt, zu dem Beschwerden auftreten, ist ein erster wichtiger Anhaltspunkt.

  • Frühe Beschwerden (Wochen bis wenige Monate nach OP) deuten eher auf eine postoperative Infektion hin, besonders wenn sie plötzlich kommen.
  • Spätere Beschwerden (Monate bis Jahre nach OP) können sowohl auf eine lockerung durch mechanischen Verschleiß als auch auf eine späte Infektion (niedrig virulent) hindeuten.
  • Ich frage Betroffene immer: „Wie hat es angefangen – schleichend oder plötzlich?“ Eine plötzlich einsetzende, schmerzhafte Schwellung mit Fieber ist alarmierend für eine Infektion. Ein schleichender Funktionsverlust mit zunehmenden Belastungsschmerzen passt öfter zu Lockerung.

    Schmerzmuster: Was Schmerzen verraten können

  • Infektion: Häufig starke Dauerschmerzen, oft auch im Ruhezustand oder nachts. Manchmal stechend, brennend oder pulsierend. Schmerzen können plötzlich stärker werden.
  • Lockerung: Belastungsabhängige Schmerzen, die bei Gehen, Treppensteigen oder beim Aufstehen auftreten. In Ruhe kann es weniger schmerzen, aber die Beweglichkeit verschlechtert sich.
  • Wichtig ist: Manche Patienten mit aseptischer Lockerung berichten von einer Art „Tiefton“-Schmerz, der sich mit der Gehstrecke oder Belastung aufbaut. Bei Infektionen ist der Schmerz oft intensiver und begleitet von anderen Zeichen.

    Klinische Zeichen: Rötung, Wärme, Schwellung, Wund­veränderungen

  • Rötung und Wärme: Eher für Infektionen typisch, vor allem wenn es sich um eine ausgeprägte lokale Entzündung handelt. Eine leichte Rötung kann aber auch aus anderen Gründen auftreten (z. B. Hautreizung).
  • Schwellung und Erguss: Beide können bei Lockerung und bei Infektion vorkommen. Bei Infektionen ist die Schwellung oft druckdolent und kann schneller zunehmen.
  • Wundheilungsstörungen oder Austritt von Flüssigkeit: Offene Wunden, nässende Stellen oder eiterartiger Ausfluss sind sehr verdächtig für eine Infektion und erfordern sofortige ärztliche Abklärung.
  • Systemische Symptome: Fieber und Allgemeinzustand

    Fieber, Schüttelfrost, Nachtschweiß oder ein allgemeines Krankheitsgefühl sprechen deutlich für eine Infektion. Allerdings können niedrig virulente Keime (z. B. Cutibacterium acnes bei Schulterprothesen) diese Symptome schwächer verursachen und vor allem lokale Beschwerden hervorrufen.

    Beweglichkeit, Instabilität und mechanische Geräusche

  • Bei Lockerung spüren viele Menschen eine neue Instabilität, das Gefühl, die Prothese „sitzt nicht mehr richtig“ oder es knackt/knirscht hörbar bei Bewegung.
  • Mechanische Geräusche (z. B. Klicken) können auf eine Prothesencomponentsproblematik hindeuten, aber nicht zwingend auf Infektion.
  • Praktische Checks zuhause, die ich empfehle

  • Führen Sie ein Schmerztagebuch: Wann treten Schmerzen auf (Ruhe/Belastung), wie stark (Skala 0–10), was verschlimmert oder bessert?
  • Messen Sie Ihre Temperatur regelmäßig (am besten morgens und abends) und notieren Sie auffällige Werte.
  • Machen Sie Fotos der betroffenen Stelle (Rötung, Schwellung, Wundveränderungen) und speichern Sie Datum/Uhrzeit – das hilft dem behandelnden Team.
  • Vergleichen Sie die Beinlänge/Beweglichkeit: Spüren Sie eine Längendifferenz oder verändertes Gangbild?
  • Nutzen Sie Gehstreckenprotokolle: Wie weit kommen Sie heute im Vergleich zu vor zwei Wochen?
  • Blutwerte und einfache Tests (beim Hausarzt möglich)

    Ohne Röntgen liefern Blutentnahmen oft entscheidende Hinweise. Ich empfehle, diese Abklärungen mit dem Hausarzt oder Orthopäden zu besprechen:

  • CRP (C‑reaktives Protein): Ein erhöhter Wert spricht für eine Entzündung/Infektion, ist aber unspezifisch.
  • BSG (Blutsenkungsgeschwindigkeit/ESR): Bei chronischen oder späten Infektionen häufig erhöht.
  • Leukozyten: Erhöhte Werte bei akuten Infektionen, bei chronischen low-grade Infektionen kann der Wert normal sein.
  • Wichtig: Normale Blutwerte schließen eine Infektion nicht aus, besonders bei niedrig virulenten Keimen. Umgekehrt können erhöhte Entzündungswerte auch andere Ursachen haben (z. B. rheumatische Erkrankungen).

    Wann sofort zum Arzt oder in die Notaufnahme?

  • Starke, plötzlich aufgetretene Schmerzen zusammen mit Fieber über 38 °C oder Schüttelfrost.
  • Offene Wunden, eiternder Ausfluss oder rasch zunehmende Rötung/Schwellung.
  • Plötzliche, starke Instabilität, die Ihre Mobilität akut gefährdet.
  • Bei diesen Symptomen ist eine rasche Abklärung nötig, oft inklusive Blutkulturen, Bildgebung und eventuell einer Punktion des Gelenks zur mikrobiologischen Untersuchung.

    Feinere Unterscheidungsmerkmale — Tabelle zum schnellen Vergleich

    Merkmal Infektion (typisch) Lockerung (typisch)
    Beginn Plötzlich oder subakut Schleichend, belastungsabhängig
    Schmerzcharakter Dauerhaft, oft Ruheschmerz Belastungsschmerz, weniger in Ruhe
    Rötung/Wärme häufig vorhanden selten
    Fieber/Systemisch möglich nein
    Mechanische Geräusche/Instabilität selten häufig

    Was tun bis zur Abklärung — meine praktischen Tipps

  • Schonung und ggf. vorübergehende Nutzung von Gehhilfen, um Belastungsschmerzen zu reduzieren.
  • Ruhigstellen bei Zeichen einer starken Entzündung und rasche Vorstellung beim Hausarzt.
  • Keine blinden Antibiotikagaben ohne Abklärung — das kann Diagnostik erschweren und Keime resistent machen.
  • Bei Verdacht auf Infektion: Fotos, Temperaturprotokoll und vorher‑nachher-Beschreibungen mitbringen.
  • Worauf das Behandlungsteam achten wird

    Ihr Orthopäde oder das Infektiologenteam wird die klinischen Zeichen, Blutwerte, eventuell Gelenkpunktion und Bildgebung zusammen bewerten. Wichtig zu wissen: Eine endgültige Unterscheidung zwischen aseptischer Lockerung und Periprothetischer Infektion erfordert oft mikrobiologische und histologische Befunde.

    Ich ermutige Sie: Sammeln Sie Informationen, dokumentieren Sie Veränderungen und zögern Sie nicht, Ihre Sorgen offen anzusprechen. Ein gut dokumentiertes Beschwerdebild erleichtert die richtige Diagnose — und das ist der erste Schritt zu einer passenden Behandlung.


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