Nach einer Gelenkprothese erwarten viele Patientinnen und Patienten Erleichterung — Schmerzen sollen weniger werden, die Beweglichkeit zunehmen. Doch manchmal bleibt oder entsteht ein Schmerzbild, das sich anders anfühlt als der typische postoperative oder arthrotische Schmerz: stechend, brennend, elektrisierend, mit Taubheit oder Kribbeln. Solche Beschwerden können auf neuropathische Schmerzen hinweisen. In diesem Beitrag erkläre ich, wie Sie neuropathische Schmerzen nach einer Prothese erkennen können und welche Behandlungsoptionen zur Verfügung stehen — praxisnah, evidenzorientiert und aus Sicht einer Gesundheitsjournalistin mit engem Bezug zu Betroffenen.
Wie sich neuropathische Schmerzen typischerweise anfühlen
Neuropathische Schmerzen unterscheiden sich oft deutlich von nocizeptiven (Gewebe-)Schmerzen. Typische Beschreibungen, die mir Betroffene immer wieder geben:
«Brennend» oder «glühend»«Elektrisierende» oder «wie Stromschläge»Taubheitsgefühle oder anhaltendes Kribbeln (Parästhesien)Allodynie: Schmerz durch normalerweise nicht schmerzhafte Reize (z. B. Berührung, Kleidung)Hyperalgesie: Übermäßige Schmerzreaktion auf schmerzhafte ReizeWichtig ist: neuropathische Schmerzen können dauerhaft, paroxysmal (anfallartig) oder schmerzverstärkend bei bestimmten Bewegungen auftreten. Sie sind häufig unabhängig von Belastung oder Haltung und können auch nachts stark stören.
Ursachen nach einer Prothese
Nach einer Hüft- oder Knieprothese können verschiedene Mechanismen neuropathische Schmerzen auslösen:
Direkte Verletzung peripherer Nerven während der Operation (z. B. Hautnerven, Ischiasnerv)Narbenbildung/Adhäsionen, die an Nerven ziehen oder diese einengenKompression durch Implantate oder FehlpositionierungEntzündliche Prozesse oder Infektionen, die Nerven irritierenMetallallergien oder Reaktionen auf Implantatmaterialien (selten)Manchmal gibt es keine eindeutige Ursache — das macht die Diagnose herausfordernd und erfordert eine sorgfältige Abklärung.
Wie wird neuropathischer Schmerz diagnostiziert?
Die Diagnose stützt sich auf eine Kombination aus Anamnese, klinischer Untersuchung und ergänzenden Untersuchungen:
Anamnese: genaue Schmerzbeschreibung, Zeitpunkt des Auftretens, Auslöser, Verlauf, frühere NervenschädigungenNeurologische Untersuchung: Test von Sensibilität (Berührung, Temperatur, Nadelstich), Reflexe, MuskelkraftScreening-Tools: Fragebögen wie der DN4 oder PainDETECT können Hinweise liefernBildgebung: Röntgen, CT oder MRT zur Beurteilung von Implantatlage, Narben und KomplikationenElektrophysiologie: Nervenleitungsstudien (ENG/EMG) zur objektiven Prüfung von NervenschädenLokalisierte Diagnostik: Diagnostische Nervenblockaden können helfen, den Ursprungsschmerz zu bestätigenEin multidisziplinäres Team (Orthopädie, Schmerzmedizin, Neurologie, Physio-/Ergotherapie) erhöht die Trefferquote für eine korrekte Diagnose.
Medikamentöse Therapieoptionen
Zur Behandlung neuropathischer Schmerzen gibt es evidenzbasierte Medikamente. Wichtiger Hinweis: nicht jeder Wirkstoff wirkt bei jedem Patienten gleich gut. Oft wird in Stufen probiert und individuell angepasst.
Antikonvulsiva: Gabapentin und Pregabalin sind häufig erste Wahl. Sie lindern brennende Schmerzen und verbessern Schlaf und Aktivität. Nebenwirkungen können Schwindel und Müdigkeit sein.Antidepressiva: SNRIs wie Duloxetin haben erwiesene Wirkung bei neuropathischen Schmerzen; trizyklische Antidepressiva (z. B. Amitriptylin) sind ebenfalls effektiv, aber mit mehr Nebenwirkungen bei älteren Menschen.Topische Therapien: Lidocain-Pflaster oder hochdosiertes Capsaicin-Pflaster (8 %) können lokal Schmerzen reduzieren — besonders bei klar begrenzten Hautarealen mit Allodynie.Opioide & Co: Schwache Opioide können kurzfristig eingesetzt werden, haben aber begrenzte Wirksamkeit bei neuropathischen Schmerzen und Risiken (Abhängigkeit, Nebenwirkungen).Adjuvante Analgetika: Bisphosphonate, Steroide oder andere Medikamente werden nur bei spezifischen Ursachen eingesetzt.Ich empfehle immer eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung und enge ärztliche Begleitung, vor allem bei Kombinationstherapien.
Interventionelle und physikalische Verfahren
Wenn Medikamente nicht ausreichend helfen oder unerwünschte Effekte auftreten, kommen interventionelle Optionen infrage:
Nervenblockaden: Lokalanästhetika oder Cortison-Injektionen in die Nähe betroffener Nerven können diagnostisch und therapeutisch wirksam sein.Periphere Nervenstimulatoren: Kleine implantierbare oder externe Stimulatoren können Schmerzen reduzieren, indem sie die Nervenaktivität modulieren.Spinal Cord Stimulation (SCS): Bei chronischen, therapieresistenten neuropathischen Schmerzen kann eine SCS erwogen werden — oft nach Testphase mit äußerem Stimulator.TENS (Transkutane elektrische Nervenstimulation): Einfach anzuwenden, günstig und für manche Patientinnen und Patienten hilfreich als Ergänzung.Neurochirurgische Revision: Wenn eine mechanische Ursache (z. B. Druck durch Implantat) vorliegt, kann eine operative Korrektur nötig sein.Physiotherapie, Ergotherapie und Bewegung
Physiotherapie bleibt ein wichtiger Baustein — trotz oder gerade wegen neuropathischer Komponenten. Ziel ist, Muskeln zu stärken, die Beweglichkeit zu verbessern und den Umgang mit schmerzhaften Reizen zu trainieren:
Schonende aktive Übungen zur Mobilisation der ProtheseNeuromuskuläres Training zur Stabilisierung und Entlastung betroffener NervenDesensibilisierungstechniken bei Allodynie (z. B. sanfte Berührungsübungen, unterschiedliche Texturen)Gleichgewichts- und GangtrainingAuch Ergotherapeutinnen können helfen, Alltagssituationen und Hilfsmittel (z. B. rutschfeste Kleidung, weiche Sitzpolster) anzupassen.
Psychologische Unterstützung und Selbstmanagement
Schmerz ist nicht nur ein physisches Phänomen — er beeinflusst Stimmung, Schlaf, soziale Teilhabe und Selbstbild. Psychologische Verfahren sind deshalb zentral:
Schmerzverhaltenstraining und kognitive Verhaltenstherapie (CBT): Lernen, wie Gedanken und Gefühle Schmerz verstärken oder lindern könnenAkzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT): Fokus auf Lebensqualität trotz SchmerzenEntspannungstechniken: Progressive Muskelrelaxation, Achtsamkeitsübungen, AtemtechnikenSelbstmanagement-Tipps, die ich oft empfehle:
Schmerz- und Aktivitätstagebuch führen, um Muster zu erkennenSchonende Mobilisierung kombinieren mit RuhephasenSchlafhygiene verbessern (regelmäßiger Rhythmus, kein Bildschirm vor dem Schlafen)Ernährung und Gewichtskontrolle zur Entlastung der GelenkeWann sollten Sie ärztliche Hilfe suchen?
Suchen Sie zügig ärztliche Hilfe, wenn eines der folgenden Symptome auftritt:
plötzlicher, starker Neuropathie‑Schmerz nach Operationzunehmende Gefühlsstörungen, Muskelschwäche oder LähmungserscheinungenAnzeichen einer Infektion (Rötung, Schwellung, Fieber)wenn Schmerzen die Mobilität stark einschränken oder die Lebensqualität erheblich sinktFrühzeitiges Handeln erhöht die Chancen, irreversible Nervenschäden zu vermeiden und die passenden Therapien schnell zu starten.
Praktische Hilfsmittel und Alltagstipps
Einige pragmatische Empfehlungen aus der Praxis:
Verwenden Sie weiche, nahtlose Kleidung oder spezielle Unterwäsche, wenn Allodynie die Haut reizt.Lidocain-Pflaster (z. B. verschreibungsfähig) können lokal und relativ nebenwirkungsarm wirken.Hilfsmittel wie Gehstock, Rollator oder rutschfeste Einlagen entlasten und verbessern Sicherheit.Achten Sie auf gute Schuhversorgung: entlastende, gut gepolsterte Schuhe reduzieren nervenbedingte Reize im Unterkörper.| Frage | Praktischer Tipp |
| Schmerz ist wechselhaft | Führen Sie ein Schmerzprotokoll (Schmerzstärke, Auslöser, Schlaf, Medikamente) |
| Brennen/Allodynie lokalisiert | Fragen Sie Ihren Arzt nach lokalen Therapien (Lidocain, Capsaicin) |
| Nachtschmerz | Schlafhygiene, ggf. Medikationsanpassung, Schmerztherapie konsultieren |
Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen in einem weiteren Text konkrete Gesprächsfragen für die ärztliche Sprechstunde zusammenstellen oder eine Checkliste für die Vorbereitung auf einen Termin beim Schmerzspezialisten erstellen.